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Bericht aus Togo von Göran Kügler

29.06.2011 | Leibiger
Göran, ein ehemaliger Schüler und Fußballer unserer Schule, ist seit dem 28. August 2010 in Togo und hat sich dazu entschieden, diesen Bericht zu schreiben und an unsere Schule abzuschicken.
Liebe Lehrer und Lehrerinnen, Liebe Schüler und Schülerinnen,
inwieweit ich mich selbst an meiner alten Schule zu diesem Zeitpunkt vorstellen muss, kann ich nicht genau einschätzen. Fest steht allerdings, dass es Anlass zu einer kleinen Wortmeldung aus dem zumindest euch recht fernen Togo gibt.

Nachdem ich im Juni 2010 mein Abitur an unserer schönen Sportschule absolviert hatte, wartete ich nicht lange ab und verschwand genau heute vor zehn Monaten von der europäischen Bildoberfläche in Richtung Äquator. Gut, so nah dran bin ich nun auch wieder nicht: Togo, umrahmt von seinen Nachbarländern Benin im Osten, Burkina Faso im Norden und Ghana im Westen liegt immer noch seine elf Grad nördlicher Länge vom Nullmeridian entfernt. Aber allzu weit von ihm entfernt können meine Lüneburger Mitfreiwillige Merle und ich dann doch nicht sein, denn aktuell gehen aller zwei Tage sintflutartige Regen(zeit)güsse auf unsere gebräunten Häupter hernieder. Die sorgen dann hier in der Hauptstadt regelmäßig für Überschwemmungen und die Außerstandsetzung der vielen unbefestigten Straßen.
Im Norden des Landes leben vorrangig die Anhänger der Ethnie Kabyé, während im Süden die Ewe ihre Herkunft haben und hier auch leben. Natürlich gibt es eine Mischung, überall im Norden trifft man z.B. auch auf Ewe. Das Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen allerdings ist gespannt, nicht nur seit Urzeiten, sondern neuerdings auch wieder nach den Präsidentschaftswahlen 2005, als der Sohn des bisherigen Präsidenten (ein Kabyé) offenbar durch Wahlbetrug an die Macht kam und das Land für eine Woche in einen Krieg Militär gegen politische Opposition versetzte. Davon sind für uns heute aber neben verbal preisgegebenen Standpunkten kaum noch Auswirkungen zu spüren. Unsere Organisation „JSA – Jeunesse, Sensibilisation, Action“, Sitz in Lomé, ist übrigens ausschließlich im Süden Togos aktiv.


Aber eigentlich bin ich ja gar nicht in der Hauptstadt tätig. Längst sind Freiwillige, die hier in Lomé bei Strom, nächtlicher Laternenhelligkeit, einem breiten (vorrangig kulinarischen) Produktangebot und nicht selten fließend Wasser in unseren Augen zu Softies verkommen. Wir dagegen, die Harten, haben die ersten vier Monate unseres Aufenthalts in einem kleinen, freundlichen 100-Einwohnerdorf – Anoum (1) – verbracht, etwa 160 Kilometer von der Küste im Süden des Landes entfernt, natürlich ohne Elektrizität. Ich muss zugeben, dass das am Anfang natürlich eine krasse Umstellung war, Gleiches gilt auch für das Klima, die Menschen, die Sprache, die Flora, die Infrastruktur, die Gebäude, das Essen, die Essenszubereitung, die Toiletten, den Weg zum Internet (aus dem Bett aufstehen und Computer anschmeißen vs. zehn Kilometer mit dem Motorad-Taxi in ein Nachbardorf zuckeln) und natürlich die Schlafstatt. Die besteht auf dem Dorf aus einer einfachen Bastmatte auf dem Boden, wenn mitgebracht: einem Kissen, wenn nötig: einem Schlafsack, und dem Moskitonetz. Debüttante Rücken- und Hüftschmerzen vorprogrammiert, nach einigen Wochen aber der Beweis schlechthin für die menschliche Anpassungsfähigkeit. Denn wenn wir hier etwas wirklich mussten, dann war es uns anzupassen, zu akklimatisieren. Dass uns das ziemlich gut gelungen ist, bemerkten wir spätestens, als wir im Januar in unser neues Dorf im Osten Togos, Djékotoé, einzogen. Hier ist zwar alles ein wenig anders, mehr Einwohner leben in dem Ort und auch äußerlich gibt es regionale Unterschiede: Alle Häuser bis auf wenige Ausnahmen sind einfach aus der lehmartigen roten Erde (2) hochgezogen, die sich hier in einem tollen rot-grün-Farbmisch mit der intensiv strahlenden Vegetation, vor allem Palmen und Mangobäume, zur Geltung bringt. Die Dächer sind aus Stroh. Aber das Schlafengehen auf einer Bastmatte, das tägliche Wasserholen (2b) aus dem Brunnen und das jeden Tag dreifache Kochen auf dem Kohlefeuer waren kein Novum mehr und daher auch kein Problem.



Anders als anfänglich angenommen (Ich danke hiermit meinem ehemaligen Tutor für die hervorragende Schule in (al)literarischen Stilmitteln) bezog sich unsere Tätigkeit nicht besonders stark auf sexuelle Aufklärung und Anti-AIDS-Kampagnen. Das finde ich heute noch sehr schade. Was wir allerdings stattdessen taten und immer noch tun, hat uns mit der Zeit ebenfalls viel gegeben und Spaß gemacht. Gleiches gilt, denke ich, auch für unsere kleinen Schüler. Der Kern unseres Projekts besteht in der Arbeit mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren. Wir bringen ihnen spielerisch erste Französischkenntnisse nahe (die kleinen Kinder und vor allem auf dem Dorf die meisten Leute mit über fünfzig Lebensjahren sprechen nur Ewe, kein Französisch), singen, zählen, zeichnen mit ihnen. Sie lernen Regeln der Hygiene und Höflichkeit (selbstverständlich nicht nach deutschen Standards) und Gedichte auswendig. Dieses Projekt war in beiden Dörfern unsere Haupttätigkeit, mit dem Unterschied, dass wir in Anoum gewissermaßen ins gemachte Nest gesetzt wurden – Schulgebäude, Stühle und Tische, Kreide, Heftchen, etc. waren schon da – in Djékotoé diese Dinge aber noch besorgen mussten. Das heißt, dass wir diese Vorschule in unserem zweiten Dorf selbst einrichteten. Ein Vorhaben, das vor allem Dank Spenden aus meiner Familie gut gediehen ist, mittlerweile haben wir hier ein einfaches Schulgebäude aus Lehm, Baumstämmen und einem Metalldach, 20 Tische und Stühle im Miniformat und eine Tafel, darüberhinaus auch Hefte mit Kopien zum Ausmalen. Die Fortschritte der Kleinen sind, nach fünfeinhalb Monaten hier in Djékotoé betrachtet, wirklich beachtlich. Wir sind überzeugt davon, dass dieses Projektgenre besonders sinnvoll ist, um Kindern einen einfacheren Start in das eher weniger sanfte Schulsystem zu ermöglichen: Der Stock ist in der Grundschule an der Tagesordnung, die Klassen sind viel zu groß um von einem einzigen Lehrer, der oft selbst nicht mehr als das Abitur vorweisen kann, betreut zu werden und vollkommen normal ist, dass die Kinder auf den Feldern der Lehrer arbeiten, nicht selten auch in Abhängigkeit ihrer Behandlung in der Schule. Auf diese Weise haben es viele bereits in den ersten Jahren schwer, einige gehen dann einfach gar nicht mehr hin. Mit dieser frühen Sensibilisierung haben wir nun schon einige Fünf-und Sechsjährige in die „Ecole Primaire“ gebracht, die sich dort gut machen.

Zu unserem Projekt zählt weiterhin noch ein zweifach wöchentlich stattfindender Deutschunterricht mit jenen Gymnasiasten, die so verrückt waren, unsere Sprache zu wählen. Fazit: Es fällt den Togolesen schwer, Deutsch zu lernen. Vielleicht ungefähr so schwer, wie es Merle und mir fällt, Ewe zu lernen. Aber in der Regel sind sie dennoch motiviert und machen gute Fortschritte.
Natürlich kommt der Sport für mich auch in Togo nicht völlig zu kurz. Wie auch, hier sind alle Leute, zumindest die Jungs und Männer, komplett fußballverrückt. Das habt ihr wirklich noch nicht erlebt, die Togolesen (wahrscheinlich könnte man auch sagen: die Afrikaner) könnten den ganzen Tag nichts anderes machen, als Fußballspielen. Ihre physischen Voraussetzungen ermöglichen ihnen diese Ausdauer. Jeder hat hier seinen Lieblingsclub in Europa und vorm Fernseher – ganz selten zu wichtigen Spielen per Stromaggregat und Antenne im Nachbardorf angeworfen – feiern sie Tore heftiger als die Spieler selbst.

In Djékotoé haben unser Gastgeber Mézan, Trainer der Männermannschaft unseres Dorfs (ich möchte niemanden lachen sehen: hier werden fast wöchentlich Spiele zwischen den Dörfern abgehalten; jedes Dorf hat seinen Fußballplatz, seine Mannschaft; Fußballschuhe, Stutzen und Trikots gibt es in bemerkenswertem Zustand) und ich im Februar ein kleines Fußballprojekt begonnen. Demnach trainiere ich zurzeit einmal wöchentlich Jungs zwischen zehn und fünfzehn Jahren, gerade haben wir einen Satz Bälle gekauft, und wenn es uns die Zeit erlaubt – Erlaubnis beim Dorf ist schon eingeholt – werden wir hier noch zwei Fußballtennisfelder bauen.

Auch in Anoum habe ich mit den Jugendlichen des Dorfes ein wenig Training gemacht, das verebbte aber eher zu einer wöchentlichen, zweistündigen Spieleinheit. (3a und b) Generell sind vor allem die Jüngeren nicht begeistert von Lauf-ABC, Sprinttraining und Passübungen, sondern wollen nichts außer Spielen. Meine halbernsten Versuche, Dresdner Trainermethoden anzuwenden, waren mit dem afrikanischen Spielgeist nicht wirklich kompatibel.



Interessant ist auch, wie sich das hiesige Klima auf den europäischen Körper auswirkt: Joggen (4) geht eigentlich nur morgens oder spät am Abend. Richtig im Süden, also in Lomé, werden die Zeiten weiter eingegrenzt. Sonst ist es einfach zu heiß. Ich war hin und wieder trotzdem nach neun Uhr morgens Laufen – ziemlich heftig.


Immer wieder höre ich folgenden Satz: „Also ich find’s spitze, was du da machst. Echt interessant. Aber ich könnte das nicht.“ Dem muss ich vehement wiedersprechen. Als ich hier ankam, all diese Dinge sah, die man zwar irgendwie erwartet, sich aber ganz anders vorgestellt hatte, und realisierte, dass ich nun ein ganzes Jahr hier leben würde, packten mich enorme Selbstzweifel. Will ich das wirklich machen? Wäre es nicht besser für mich, Zivi in Deutschland zu machen, bisschen Geld zu verdienen? Heute weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe. Wenn du dastehst in dieser nun unvermeidbaren und äußerst realen Situation, sagst du dir automatisch, dass du jetzt das Beste draus machen musst. Du hast ja keine Wahl – und nach einigen Wochen merkst du, dass das alles Spaß macht, dass du wahnsinnig wichtige und beeindruckende Erfahrungen machst, dass du wirklich in Afrika bist. Jeder könnte das machen. Es ist nur der erste Schritt, der wirklich Überwindung kostet.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass man hier die enorme Lockerheit der Menschen genießt. Zumindest in den meisten Fällen (wenn sich alle mit dem deutschen Freiwilligen einig sind, sich morgen 15.30 zum Training zu treffen, und 17 Uhr immer noch nicht mehr als drei Leute anwesend sind, die sehr unregelmäßig eintrafen, kann man schon mal ungeduldig werden. Mais l’éssenciel est, dass sie irgendwann doch alle kommen). Denn auch Feiern wird in Afrika großgeschrieben (5), größere Anlässe heißen immer ausgelassene Stimmung bis zum frühen Morgen und das Töten und Vertilgen vieler Tiere.


Die Menschlichkeit, Direktheit und Offenheit des togolesischen Volkes, erneut könnte man die Aussage lokal gesehen wohl deutlich breiter streuen, ist als eines der Dinge zu nennen, die mir meinen Aufenthalt besonders wertvoll machen. Wo in Deutschland könnte man es schon erleben, dass man auf der Straße von wildfremden Leuten freundlich zu sich an den Tisch, auf die Bank eines Lebensmittelladens gebeten wird, einfach nur, um sich zu unterhalten? Wo würde man bei uns keinen skeptischen Blick zugeworfen bekommen, wenn man die Menschen grüßt, die an einem vorbeilaufen, auch wenn man sie noch nie gesehen hat, einfach weil es höflich ist?

Für alle, die vor einem Jahr dachten, ich mache Witze: Ich bin also tatsächlich in Afrika, lebe seit Ende August 2010 hier und als Beweis sollen die Fotos dienen.
Ich wünsche euch allen einen schönen Abschluss des Schuljahres und erholsame Ferien.

Euer Göran